Fiona Apple startet ihre Musikkarriere 1996 ziemlich vielversprechend. Ihr Debutalbum
Tidal verkauft sich allein in den USA annähernd 3 Millionen mal und ihre erste Single "Criminal"
https://www.youtube.com/watch?v=FFOzayDpWoI wird ebenfalls zum Millionenseller. Ihre Plattenfirma Sony freut sich schon über einen neuen Star a la
Björk oder
Tracey Chapman, erst recht als das Video von Criminal für die MTV Music Awards nominiert wird (doch nicht etwa wegen der halbnackten Räkelei in der Badewanne?). Bei der Preisverleihung aber kommt es zum Eklat. Die offenbar gar nicht schüchterne 19-Jährige bezeichnet die Welt des kommerziellen Musikbizz als "Stück Scheiße". Das saß, und von nun an erwartete wohl niemand mehr, dass sie mal mehr Platten verkaufen könnte als Whitney Houston.
Das war bei ihrem Lebenslauf auch nicht zu vermuten. Ihre Eltern, der Vater ein Schauspieler, die Mutter Sängerin, trennten sich zwar früh, gaben ihr aber - neben Klavierunterricht - die nötigen "künstlerischen Gene" mit. Allerdings auch eine hohe Sensibilität, die zwar bekanntlich der Kreativität sehr förderlich ist, sie aber auch besonders angreifbar macht. Ala sie dann noch mit 12 auf dem Weg zu ihrer Mutter vergewaltigt wird, muss sie zum ersten Mal in psychotherapeutische Behandlung. Es blieb nicht das einzige Mal. Das Trauma der Misshandlung führte offenbar dazu, dass sie drohte, sich und ihre Schwester umzubringen. Und es ist noch heute zentraler Bestandteil ihrer Musik. Auf der neuen Platte
Fetch the Bold Cutters (Holt den Bolzenschneider, eine Anspielung auf die Serie "The Fall - Tod in Belfast", in der Gillian "Scully" Anderson Sexualdelikten nachspürt) findet sich die Textzeile: "You raped me in the same bed you're daughter was born in". Dass sie schon lange vor der in den USA mittlerweile in aller Munde befindlichen #me too-Kampagne gegen sexuelle Gewalt kämpfte, passt in's Bild. Wohlgemerkt, sie kämpft, sie ist weder verbittert noch fügt sie sich auch nur ansatzweise in eine Opferrolle.
Und sie verteufelt die Männer nicht. So lebt sie einige Jahre mit dem Kultregisseur Paul Thomas Anderson zusammen, eine Partnerschaft, die offenbar beide zu künstlerischen Hochleistungen anstachelt. Anderson dreht in dieser Zeit sein Meisterwerk "Magnolia", das in vielen Enzyklopädien zu den 10 besten Filmen aller Zeiten gezählt wird (ich würde ihn unbedingt mit auf die berühmte einsame Insel nehmen). Apple hingegen nimmt 1999 ihr zweites Album auf. Es wird unter dem Titel
"When the Pawn ..." veröffentlicht. Der eigentliche Titel, den die Künstlerin ihm geben will, umfasst 90 Worte und ist eines ihrer Gedichte. Da aber spielt die Plattenfirma Sony nicht mit, es bleibt bei den ersten drei Worten. Doch Titel hin oder her, die versammelte Musikpresse überschlägt sich geradezu. Mit Tidal hatte Fiona ihr Talent aufblitzen lassen, mit When the pawn... wird sie über Nacht zu einer der höchstgeschätzen Künstlerinnen ihrer Zeit.
https://www.youtube.com/watch?v=HxMUzv5erBchttps://www.youtube.com/watch?v=B-sSJZQ67TEDer Hype nahm seinen Anfang. Und das bei weitem nicht nur bei den Kritikern. Auch das zweite Album wird ein kommerzieller Erfolg. Zwar erreicht es bei weitem nicht die Verkaufszahlen von Tidal, aber dafür schart Fiona eine Fangemeinde um sich, die sie wie eine Außerirdische verehren. Doch sie lässt sie zappeln. Erst 2003 tauchen Gerüchte auf, sie habe eine neue Platte eingespielt. Aber es gibt keinen Termin für die Veröffentlichung. Und das bleibt auch lange so. Bis erste Songs im Internet auftauchen und die Vermutung zur Gewissheit wird. Sony weigert sich, die längst fertige CD auf den Markt zu bringen. Angeblich fehle eine vermarktbare Single und kommerzielle Substanz. Als aber nach und nach die gesamte CD im Netz illegal zum Download angeboten wird, gründet sich unter den Fans eine Initiative "Free Fiona", die mit Macht auf die Veröffentlichung drängt. Ende 2005 ist es dann endlich soweit. Sony bringt die Platte - allerdings neu produziert - unter dem Titel
Extraordinary Machine heraus. (bis heute diskutieren die Fans in diversen Blogs hochkontrovers, welche Version besser sei).
https://www.youtube.com/watch?v=kjfTDDAstighttps://www.youtube.com/watch?v=NP869swP2poUnd erneut hagelt es Lobeshymnen von Kritikern und Fans. Zwar ist die CD deutlich sperriger als der Vorgänger, aber dafür zeigt sich mehr und mehr, was für eine vielseitige Künstlerin in dieser schmalen, so zerbrechlich wirkenden Person steckt. Dass sie dabei auch eine gehörige Portion Humor hat, zeigt das folgende Video eindrucksvoll.
https://www.youtube.com/watch?v=u09s0uz0tEU Selten hat man eine Musikerin gehört, die so viele Facetten in ihrem Gesang hat. Sie schmeichelt, wispert, krächzt, gibt sich einfühlsam und warm und im nächsten Moment bricht ihre Wut wie ein Vulkan heraus. Nur um anschließend von diesem wundervollen Piano wieder eingefangen zu werden. Noch gesteigert wird dies auf ihrer dritten Scheibe, auf die die Fans allerdings ganze 7 Jahre warten müssen. 2012 schließlich erscheint
The idler wheel is wiser than the driver of the screw and whipping chords will serve you more (Offenkundig hat Sony den Kampf um die Wortzahlen aufgegeben). Und das ist ihr absolutes Meisterwerk. Noch weniger als die Vorgänger um Eingängigkeit bemüht, noch reduzierter - fast nur Piano, Percussion und Gesang - aber so eindringlich, dass es manchmal schon weh tut.
https://www.youtube.com/watch?v=ABtDxEQLURUEin schrummelndes, wenig rhythmisches Schlagzeug, geleitet von ihren düsteren Klavierklängen und immer wieder an den Rand gedrängt von ihrer unglaublichen Alto-Stimme. Wenn sie Jonathan vorhält, nicht endlos diskutieren, sondern ihn leben sehen zu wollen, klingt es wie eine unverhohlene Drohung, aber auch wie ein Schrei der Verzweiflung und eine unmissverständliche Aufforderung, ihr seine Seele zu offenbaren. Grenzenlos, schamlos, schutzlos. So wie sie selbst ihr Innerstes nach außen kehrt.
https://www.youtube.com/watch?v=bIlLq4BqGdgEvery Single Night ist die Single der CD. Doch warum es überhaupt eine gibt, erschließt sich nicht wirklich. Denn in den gängigen Radiostationen wird Musik zum nebenbei hören gespielt. Und dafür eignet sich Fiona Apple gewiss nicht. Wer will sich schon auf der Arbeit oder beim Autofahren einen Seelenstriptease dieses Ausmaßes antun. Doch wer bereit ist, sich an stillen Abendstunden auf die Künstlerin einzulassen, wird reich belohnt.
https://www.youtube.com/watch?v=VG1VVFfOnYQWenn Fiona singt "He excites me" wünsche ich mir in manchen Momenten, sie möge doch mich meinen. Doch unabhängig von der Absurdität solcher Vorstellungen weiß ich bereits in den nächsten Sekunden, dass ich es mit ihr nicht lange aushalten würde. So viel Emotionen und so viel Offenheit verstören. Aber diese Augenblicke, in denen ich sie zulassen kann, sind ungeheure Glücksmomente.
https://www.youtube.com/watch?v=Z8tfU9da_V0Wenn sie mit diesem Kiekser "When over the rainbow is too far" singt, könnte ich jedesmal Rotz und Wasser heulen. Leider ist "Largo" jedoch auf der Standard-CD "The idler wheel..." nicht zu hören. Allerdings gibt es das Stück auf einem Japan-Import und natürlich im Netz.
Demnächst erscheint nun ihre neueste Platte. Im Internet kann man sie schon auf den gängigen Musikplattformen hören. Ich habe mir die meisten Stücke bisher einmal angehört und bin trotz der wieder euphorischen Kritiken noch nicht infiziert. Aber das ist bei Fiona's Musik auch nicht verwunderlich. Sie braucht halt etwas länger, um sich in die Gehörgänge einzuschmeicheln.
Zum Abschluss noch ein bisschen leichtere Kost von Fiona. Das erste Stück ist ein Beatles-Cover, dass die älteren von euch sicher kennen. Dann begleitet sie den großen, alten Johnny Cash bei "Father and Son" von Youssouf oder Cat Stevens, wie er damals noch hieß. Und als letztes gibt sie Andrew Bird die Ehre. Aufmerksame Leser werden sich erinnern, ich habe ihn schon im Thread zu den New Pornographers vorgestellt. In diesem Song beichtet Andrew ihr, keine Liebeslieder schreiben zu können. Und als er es dann doch versucht, muss er sich ihren Spott gefallen lassen, er kratze doch nur an der Oberfläche mit seinen "left handed kisses". Ob er wohl noch mal mit ihr singen wird?
https://www.youtube.com/watch?v=RhMEKiIb86Ihttps://www.youtube.com/watch?v=FsGERE6GH8Mhttps://www.youtube.com/watch?v=RZwtWExDmoI