von Skatschiri » 5. Sep 2011 20:00
Hallo miteinander,
Nachdem ich in meinen letzten Beiträgen angeblich nicht den richtigen Ton getroffen habe, will ich mich nun wieder produktiver ins Forum einbringen. Beginnen will ich damit, dass ich euch meine ausführliche Rezension zum Werk „Visionen“ von Johann Käferlein vorstelle, das ich die letzten Tage über durchgelesen habe. Kennt eigentlich jemand im Forum den Autor? Leute wie z. B. Thomas Kinback oder Manfred Quambusch kennt ja fast jeder Skatspieler, aber von einem Johann Käferlein hatte ich nie zuvor gehört. Warum ich mich nun darüber ärgere, dass ich unbedingt jedes Skatbuch der Gegenwart haben muss, erfahrt ihr sogleich. So wie es unsere Pflicht ist, auf gute Skatbücher hinzuweisen, so muss es auch unsere Pflicht sein, vor schlechten Skatbüchern zu warnen. Wer die nachfolgenden Ausführungen als zu lang empfindet, darf gerne zum Fazit springen.
Die Inhaltsangabe auf dem Buchrücken ist schon einmal eine Mogelpackung: Es wird suggeriert, dass das Buch sowohl für Leute, die Skat lernen wollen, als auch für erfahrene Turnierspieler nützlich sei. In Wirklichkeit ist nichts im Buch vorhanden, womit Laien das Spiel hinsichtlich der Spielregeln und -techniken erlernen oder Profis ihr Spiel verbessern könnten. Daran ändern auch die manchmal beiläufig eingeworfenen Basisinformationen, die nie weiter vertieft werden, nichts. Wer die Internationale Skatordnung und ein beliebiges anderes Skatbuch liest, hat eine wesentlich größere Chance, das Spiel zu erlernen.
Das gesamte Szenario (Buchrücken: „Dieses Buch stellt ein durchaus realistisches Szenario vor, in dem Skat der Denksport Nummer 1 im Jahre 2019 ist“) ist eine einzige Farce. Fragen, die z. B. überhaupt nicht thematisiert werden, lauten: Wie konnte es zum Eintreten des Szenarios kommen? Wie sieht die im Buch genannte Versuchsschule, die berufliche und freizeitliche Schulung miteinander verbindet, im Detail aus und welche Voraussetzungen mussten für die Errichtung dieser Schule geschaffen werden? Warum ist ausgerechnet Skat der Denksport Nummer 1 und nicht z. B. Schach oder ein modernes Jugendspiel? In Anbetracht dieser unbeantworteten Fragen wirkt es geradezu grotesk, dass einer der im Buch genannten Charaktere an einem Work-Shop „Mens sana in corpore sano“ („ein gesunder Geist in einem gesunden Körper“) teilnimmt (Seite 48/49), in dem dieser Charakter „die Kenntnis der Augenwerte in den Kartenspielen Skat und Schafkopf erlangt, die Fähigkeit des Augenzählens geschult und seine […] Konzentrationsfähigkeit verbessert [hat]“ und wonach dieser Charakter „für das systematische Erlernen der Kartenspiele Skat und Schafkopf gut geeignet“ sei (Seite 49). Genauso gut könnte es dann in China Work-Shops geben, in denen junge Chinesen lernen, wie man „Massen-Mehrspieler-Online-Rollenspiele“ (MMORPG) spielt, damit sie für ihre schlecht zahlenden Auftraggeber Charaktere in diesen MMORPG erstellen und gestalten, die die Auftraggeber für teures Geld verkaufen können. Die Auffassung des Autors scheint zu sein: Wenn die Leute nicht Skat spielen wollen, dann muss man sie eben dazu zwingen, und dazu muss man schon früh die Kinder indoktrinieren. Der Autor würde also lieber die Freiheit der Kinder beschneiden, anstatt nur einen einzigen guten Vorschlag zu machen, wie man Skat attraktiver gestalten könnte, damit Jugendliche und Erwachsene das Spiel freiwillig spielen wollen. Wäre man gemein, könnte man an dieser Stelle sogar unterstellen, der Autor habe fragwürdige Ansichten zum Thema Kindererziehung. Darüber hinaus wird die mehrfach geäußerte These, Skat sei gut für die geistige und sogar die charakterliche Entwicklung eines Menschen, kein bisschen erläutert. Als Außenstehender müsste man hier fragen: Wie kann es denn gut für die charakterliche Entwicklung eines Menschen sein, einem Glücksspiel zu verfallen? Das ist die andere Extremposition. Extrempositionen müssen erklärt werden – und genau das tut der Autor nicht. Ein weiterer „Höhepunkt“ ist dann das in Kapitel XVII. (Seite 80 ff.) angeführte fiktive Altenburger Welt-Skat-Schafkopf-Zentrum, dessen Hintergründe mit keiner Silbe dargestellt werden. Es ist also einfach alles da? Unter einem „realistischen Szenario“, wie der Autor es auf dem Buchrücken verspricht, verstehe ich etwas Anderes. In gewisser Hinsicht erinnert mich die Ausgangskonstellation des Buches an eine Zeichentrickserie, in der Jugendliche mit Hilfe eines Kartenspiels die Welt retten – ebenfalls keine realistische Prämisse, aber eine Zeichentrickserie ist schließlich kein Skatbuch, das ernst genommen werden will. Mit einer realistischen Zukunftsbetrachtung oder dem ausgefeilten Entwurf eines Zukunftsszenarios hat dieses Buch also nichts zu tun.
Wovon handelt das Buch dann? Diese Frage kann ich auch nach der Lektüre nicht so richtig beantworten. Im Grunde genommen enthält das Buch nichts weiter als eine willkürliche Aneinanderreihung von kaum relevanten oder interessanten Fakten bzw. eine sinnlose Aneinanderreihung von mäßig unterhaltsamen Anekdoten ohne einen größeren Zusammenhang. Damit geht eine total wirre Gedankenführung einher, die aus ständigen Sprüngen von einem Punkt zum anderen besteht, ohne dass der vorherige Punkt abgeschlossen oder der Zweck des Sprungs erkennbar wird. Negativer Höhepunkt dieser Art ist die pathetische „Rede“ eines Ehrenvorsitzenden auf den Seiten 74 ff. Hier ist es auch besonders befremdlich, dass zwei Punkte, die auf Seite 80 angesprochen und als neu verkauft werden, schon auf Seite 77 erwähnt wurden. Es entsteht der Eindruck, der Autor wisse selbst nicht so recht, was er da eigentlich so schreibt.
Wäre das Ganze wenigstens in sich konsistent und unterhaltsam geschrieben, hätte daraus noch ein passables Buch werden können. Leider gibt es einige Dinge, die beim Lesen doch erheblich stören:
- Häufige Formatierungsfehler (in der Regel zu viele Leerzeichen und Silbentrennungsfehler) und peinliche Rechtschreibfehler lassen an der Professionalität und Seriosität des Autors zweifeln (Book on Demand hin oder her). Beispiel: „Johannn“ auf dem Cover – was soll der Leser von einem Autor erwarten, der, so könnte man mutmaßen, seinen eigenen Namen nicht richtig schreiben kann?
- In den fiktiven Kartenspielbeispielen gibt es teilweise Kontinuitätsfehler (auf Details verzichte ich hier, weil die fiktiven Kartenspielbeispiele inhaltlich rein gar nichts hergeben, es also im Grunde genommen nicht darauf ankommt, ob sie formal in sich stimmig sind).
- Dass in dem Buch teilweise Bayerisch geredet (d. h. geschrieben) wird, hilft nicht gerade dabei, das Geschriebene inhaltlich verstehen zu können (wobei die bayerische Sprache hinsichtlich der inhaltlichen Verständlichkeit sicherlich die geringste Hürde darstellt).
- Ärgerliche Stilbrüche, z. B. plötzliche Wechsel der Erzählperspektive, hemmen den Lesefluss.
- Die auftretenden Charaktere sind entweder vollkommen farblos (da auf eine einzige Eigenschaft reduziert) oder äußerst nervig (z. B. die ach so gedächtnisstarke, besserwisserische und aus Wikipedia zitierende Claudia – niemand mag pseudoüberlegene Teenager). Natürlich ist dieses Buch kein Roman, aber wenn man schon zur Auflockerung Charaktere miteinander agieren lässt, dann sollte man schon darauf achten, dass die Auflockerung nicht ins Gegenteil verkehrt wird.
- Fakten werden von Wikipedia abgeschrieben (s. o.), z. B. der Anfang von Claudias Erklärung zum Kartenspiel Casino auf Seite 3. Auf Seite 9 wird das wenigstens zugegeben (allerdings nur für das Zitat auf Seite 9, sodass das nicht gekennzeichnete Zitat auf Seite 3 streng genommen ein Plagiat darstellt). Ein Charakter mit einem offensichtlich fotografischen Gedächtnis ist eine ziemlich dreiste Ausrede für unveränderte Wikipedia-Zitate; zugleich ist es das Eingeständnis des Autors, dass er sich anscheinend nicht die Mühe machen wollte, die entsprechenden Passagen wenigstens ein bisschen umzuformulieren.
- Wenn man erst einmal glaubt, es seien alle Charaktere des Buches eingeführt worden, tauchen plötzlich neue Charaktere, die nicht näher beschrieben werden, mittels irgendwelcher Dialogfetzen auf – sehr irritierend! Bisweilen scheint der Autor seine eigenen Charaktere nicht zu kennen. So bezeichnet er z. B. einen Charakter am Anfang als Benjamin Eckhard (Seite 1), danach aber (nur noch) als Eckhard, obwohl Eckhard, wie schnell und spätestens am Ende ersichtlich wird, nicht der Familienname ist. Wenn Eckhard der Zweitname ist, mit dem der Charakter ausschließlich angesprochen wird und angesprochen werden will, dann hätte der Autor darauf hinweisen müssen. Andererseits kann ich verstehen, dass er sich diesen Hinweis für einen weiteren absolut langweiligen Charakter gespart hat.
- Ermüdend ist auch die Ausbreitung von Selbstverständlichkeiten, z. B.: „Ein idealer Kartentisch sollte nicht zu lang, zu kurz, zu breit, zu schmal sein.“ (Seite 18).
- Bandwurmsätze und unerträglich gestelzte Sätze vermiesen einem die Lust am Weiterlesen, z. B.: „Der thermische Einklang mit der Umgebung muss gewährleistet sein.“ (Seite 19) – anscheinend die Art des Autors, darauf hinzuweisen, dass man beim Kartenspielen für die richtige Temperatur zu sorgen habe. Hier war anscheinend der formale Einklang mit der Sprache nicht gewährleistet.
- Es wirkt einfach nur peinlich, wenn der Autor längere Ausführungen als „Hausaufgaben“ von einem der im Buch vorkommenden jugendlichen Charaktere verkleidet und sich dann quasi selbst von den Lehrern immer (annähernd) die Höchstnote geben lässt. Auch ansonsten loben sich die Charaktere, denen immerhin der Autor die Sprache verleiht, ständig gegenseitig, auch und gerade wenn es dafür keinen Grund gibt. Dieses andauernde indirekte Eigenlob des Autors belastet die Nerven und die Geduld des Lesers ungemein.
- Die Checkliste für den reibungslosen Ablauf einer Kartenrunde (Kapitel VII) wirkt einfach nur lächerlich. Entweder wollte der Autor ernst gemeinte Vorschläge mit Witzen kombinieren (fehlgeschlagen, weil die ernst gemeinten Vorschläge Selbstverständliches betreffen und die Witze nicht witzig sind) oder er wollte eine Satire schreiben, die aufgrund der ernsthaft gemeinten Vorschläge nicht zündet. Beispiele: „Geregelter Stuhlgang?“ (Seite 20), „Sexuelle Gefühle unterdrückbar? Aggressionsfreies Feeling?“ (Seite 20)
- Peinliche und unnötige sexuelle Anspielungen laden zum Fremdschämen ein; Beispiele: „Uschi: […] ‚Und was ist denn ein Langer?‘ Sie errötet leicht.“ (Seite 10). „Um einen Streit über sinnige und weniger sinnige, kulturell wertvolle und weniger wertvolle Namen von Skatclubs rechtzeitig im Keim zu ersticken, rückt unsere Dame etwas näher an den Altenburger Skatfreund heran und signalisiert ihr wachsendes Interesse – ob nun am kulturellen Aspekt der Kartenspiele, oder woran auch immer, sei erstmal dahingestellt.“ (Seite 6). Lächerlicher Schlusspunkt ist schließlich ein „Skat-Heiratsantrag“ (Seite 88) zwischen zwei älteren Menschen, die sich erst zu Beginn des Buches kennen gelernt haben (größere Zeitsprünge im Buch waren jedenfalls für mich nicht erkennbar).
Zwei Punkte verdienen noch eine besondere Erwähnung.
Zum einen wirken bestimmte Aspekte des Werkes, die womöglich autobiografischer Natur sind, merkwürdig in ihrer nur kurz eingestreuten, nicht weiter ausgeführten Art. Beispiel: „Opa, zur Zeit etwas frustriert, weil er in seiner Verbandsgruppe mal wieder wegen seiner eigenwilligen Ideen nicht Vorsitzender geworden ist, […].“ (Seite 12). Oder die darauf folgende, ohne erkennbaren Grund oder Zusammenhang eingestreute und damit völlig deplatziert wirkende Fabel über die Schlange und das Lamm (ja, im Ernst: eine Fabel!). Oder die Erzählung auf den Seiten 32 ff., wo wir es gleich mit mehreren Johanns zu tun haben und der Autor für den nicht weiter ausgeführten Begriff „Informationsminister“ die unglückliche Abkürzung „IM“ wählt, die eher bekannt ist für ihre Bedeutung als „Informeller Mitarbeiter“ (sprich: Stasi-Spitzel). Diese Erzählung ist auch in anderer Hinsicht besonders unglücklich, denn sie klingt so, als würde ein ehemaliger Skatfunktionär verklausuliert mit seinen Funktionärskollegen abrechnen, ohne Klartext zu reden oder inhaltlich zu überzeugen. Das (Haupt-)Problem dabei: Da der Leser höchstwahrscheinlich nicht weiß, worum es geht, kann er mit der schlecht geschriebenen Erzählung überhaupt nichts anfangen. Ergebnis: weder eine wirkliche Abrechnung noch gute Unterhaltung gleich welcher Art. Als weitere Stelle dieser Art wäre Kapitel XVI. (Seite 72 ff.) zu nennen, in dem es u. a. um jemanden geht, der freiwillig einen Skatclub verließ, weil er sich beleidigt fühlte.
Zum anderen stellen die zum Teil äußerst fragwürdigen Thesen des Autors eine weitere Auffälligkeit dar. So scheint er z. B. die Auffassung zu vertreten, dass ISkO (Internationale Skatordnung) 4.5.2 andere Vorschriften überstrahlt, man also anhand von 4.5.2 ISkO eine Entscheidung treffen kann, die aufgrund einer einschlägigen spezielleren Vorschrift eigentlich anders ausfallen müsste (Seite 63/64). Viel ärgerlicher als die in ihrer Allgemeinheit fragwürdige These an sich ist hierbei, dass der Autor nur ein einziges Beispiel nennt (ohne sich vertieft damit auseinanderzusetzen) und dem Leser die Hintergründe nicht erläutert. Klar, dieses Buch soll kein Buch über Skatregeln im Detail sein. Wozu dann aber dieser merkwürdige und undifferenzierte Einschub? Es mag zwar nur ein Schreibfehler sein, doch es passt irgendwie hierzu, wenn der Autor später (Seite 87) seinen Lesern rät, „die Entscheidungen des ISKO zu akzeptieren“ (gemeint ist hier selbstverständlich das Internationale Skatgericht – ISkG). Andererseits halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass der Autor die Internationale Skatordnung mit dem Internationalen Skatgericht verwechselt.
Fazit: Was will uns der Autor mit diesem Buch sagen? Es bringt einem keine Regeln und Spieltechniken bei, es enthält keine gut ausgearbeitete Zukunftsvision, die Witze sind altbacken und bemüht, Anzahl und Schwere der formalen Mängel und das nicht vorhandene schriftstellerische Talent des Autors erweisen sich als große Ärgernisse und Kritik und sonstige Aussagen sind viel zu verklausuliert und sprunghaft, als dass der Leser etwas damit anfangen könnte. Was hat der Autor also erschaffen? Einen willkürlichen und unverständlichen Streifzug durch alles, was ihn anscheinend interessiert und den Leser offensichtlich nicht. Ein treffender Begriff als „wirres Geschwafel“ fällt mir hierzu nicht ein. Man muss sich förmlich zum Weiterlesen zwingen mit der Folge, dass die 88 Seiten (Zählung ohne Cover, Buchrücken, Leerseiten etc.) für den Leser die längsten 88 Seiten seit Langem werden könnten. Für diese 88 Seiten dann auch noch 7,90 € zu verlangen ist einfach nur dreist – das Geld ist wesentlich besser investiert, wenn man es dafür ausgibt, sich einen beliebigen Film im Kino anzuschauen, oder wenn man das Geld einem Obdachlosen schenkt. Ich habe noch nie ein so schlechtes Buch gelesen – und das will schon was heißen bei einem Buch, das mich thematisch interessiert(e). Mein dringender Ratschlag: Finger weg! Was auch immer man von diesem Buch erwartet, findet man in anderen Skatbüchern oder sogar umsonst im Internet in einer weitaus höheren Qualität. Für mich steht fest: Kein anderer Verlag hätte dieses Buch veröffentlicht. Es ist ein heißer Anwärter auf den Titel „Schlechtestes Skatbuch aller Zeiten“, vielleicht sogar auf den Titel „Schlechtestes Sachbuch aller Zeiten“!
Hoffentlich erweist sich meine ausführliche Rezension als aufschlussreich. Was ich hier dargestellt habe, ist leider bloß die Spitze des Eisbergs. Im Detail gäbe es noch viel mehr zu kritisieren, aber ich will diesem dilettantischen Machwerk nicht mehr Aufmerksamkeit verschaffen, als es verdient. Wenn noch jemand das Buch gelesen hat, würde ich gerne wissen, ob er oder sie meine Einschätzung teilt.