Nach den alles andere als erquicklichen Diskussionen beim letzten Mal wollte ich hier eigentlich keine politischen Beiträge mehr schreiben. Aber mein heutiges Thema ist meines Erachtens zu wichtig, als dass man darüber schweigen sollte.
Anlässlich der bevorstehenden Machtübergabe in den USA hat vorgestern ein wütender Mob, der vom Präsidenten aufgestachelt wurde, versucht, das Capitol zu erstürmen um die dort anwesenden Parlamentarier gewaltsam an ihrer Arbeit zu hindern. So weit, so bekannt, und so weit, so schlimm.
Dass dies ein äußerst bedenklicher Vorgang ist, dem dürfte wohl jeder Anhänger der Demokratie unabhängig von seiner politischen Prägung vorbehaltlos zustimmen. Aber mich beschäftigt dieser Vorgang und seine möglichen Folgen (evtl. Amtsenthebungsverfahren, potenzielle strafrechtliche Folgen für Trump) gar nicht so sehr. Er war erwartbar nach dem Motto "die Geister, die ich rief ...".
Was mich viel mehr umtreibt sind eben genau diese Geister, die in immer mehr Staaten aus der Flasche gelassen wurden und weiter werden. Denn längst hat besagter Trump zahllose Anhänger auf der ganzen Welt gefunden. Um deutlich zu machen, was ich meine, sei hier ein Satz von Trump sinngemäß wiedergegeben. Laut Tagesthemen hat er gesagt, er könne auf offener Straße einen Menschen erschießen, ohne dass es ihn eine einzige Wählerstimme kosten würde.
Das ist sicher eine Übertreibung, die die Allmachtsphantasien dieses Durchgeknallten widerspiegeln, aber ich fürchte, im Kern hat er gar nicht mal so unrecht. Was aber ist passiert, dass mittlerweile gar nicht so wenige Politiker glauben, mit dieser Methode, dem Trumpismus, wie er genannt wird, Erfolg haben zu können? Sicher, Trump lügt wie gedruckt, aber tun das nicht andere auch? Haben Politiker etwa früher die reine Wahrheit gesagt? Natürlich nicht. Nicht die Rechten, nicht die Linken und die in der Mitte genau so wenig.
Wie übrigens auch wir anderen Menschen nicht. Nicht die Unternehmer, nicht die Arbeitnehmer, nicht die Hausmänner/frauen. Selbst die Kinder lernten und lernen schon in frühen Jahren die "Vorzüge" der Unwahrheit kennen. Das Lügen gehört zum Menschen wie der Teufel zur Kirche.
Aber eines hat sich sehr deutlich geändert. Wenn früher jemand bei einer Lüge erwischt wurde, hat er sich ertappt gefühlt, hatte womöglich ein schlechtes Gewissen oder zumindest gewusst, dass er sich nicht hätte erwischen lassen sollen. Und er musste mit Konsequenzen rechnen. Seien es konkrete Strafen oder wenigstens Liebesentzug. Als Politiker musste man sogar mit äußerst drastischen Folgen rechnen. In den USA hat ein banaler Seitensprung so manch aufstrebenden Volksvertreter seine Karriere gekostet. Und selbst im diesbezüglich sehr viel liberaleren Deutschland haben vergleichsweise harmlose Vergehen Politiker ins Vergessen manövriert.
Ein Beispiel gefällig? Es ist noch nicht so lange her, da hatten wir einen Verteidigungsminister, der zurücktreten musste, weil er sich seinen Doktortitel erschlichen hatte. Na, weiß noch jemand den Namen? Ich musste ihn zugegeben auch googeln. Er heißt Karl-Theodor zu Guttenberg und galt als der kommende starke Mann der CSU. Frau Süßmuth trat sogar wegen missbräuchlicher Nutzung ihres Dienstwagens zurück. Eine Lappalie, deren Konsequenzen in anderen Ländern nur mild belächelt wurde.
Nun kann man in der Tat streiten, ob derlei Belanglosigkeiten so gravierende Folgen haben sollten. Mir ist es auch wurscht, ob Kohl jahrelang mit seiner Sekretäri rumgemacht hat. Das macht ihn weder zum besseren noch zum schlechteren Kanzler. Aber ganz und gar nicht egal ist, dass es mittlerweile als selbstverständlich erachtet wird, dass Lügen, ja selbst offenkundiges und beweisbares Lügen als vollkommen legitimes Mittel zum Machterwerb oder Machterhalt gilt. Zumindest von immer größeren Kreisen der Bevölkerung, wie die Trump'sche Aussage treffend widerspiegelt.
Wohlgemerkt, ich bin der letzte, der ein Problem mit einer kleinen Notlüge hat. Wenn jedoch der grundsätzliche Wert der Wahrheit in Frage gestellt wird, ist etwas faul im Staate Dänemark. Aber genau das passiert derzeit. Und das ist weiß Gott nicht nur bei den Politikern der Fall. Manchmal beschleicht mich sogar das Gefühl, dass zumindest hierzulande eine ganze Reihe Politiker viel mehr Anstand haben, als sie weite Teile der Bevölkerung verdienen. Der extrem schlechte Ruf, den sie genießen, ist mir schon seit Jahren zuwider. Es gehört längst zum "guten Ton", pauschal alle Politiker über einen Kamm zu scheren und als unfähig und gewissenlos zu diffamieren.
Und genau da liegt die Crux. Es sind nicht die Trumps, Putins und Erdogans dieser Welt, die das eigentliche Problem für die Demokratie darstellen. Wir selbst sind das Problem. Wir, die lieber dümmlichen und falschen Behauptungen folgen, als uns selbst zu informieren. Wir, die lieber Rattenfängern hinterherlaufen als uns die Mühe zu machen, selbst zu denken und Verantwortung für unser Leben zu übernehme. Und nicht zuletzt: uns auch mal zu hinterfragen. Stattdessen lesen wir nur (wenn wir überhaupt noch lesen), was uns in unserer vorgefassten Meinung bestärkt.
Ein Gerücht, dass ein Ausländer eine deutsche Frau vergewaltigt hat, verbreitet sich in Windeseile über die ganze Republik. Der Fakt, dass die Kriminalitätsrate der Ausländer nicht höher als die der Deutschen ist, bleibt weitgehend unbeachtet. Das ist übrigens nur ein Beispiel und ich leugne selbstverständlich auch nicht, dass ausländische Männer deutsche Frauen vergewaltigen. So wie deutsche Männer auch ausländische Frauen vergewaltigen.
Ich habe alles Verständnis dafür, dass wir Menschen bequem sind. Ich selbst bin sogar ein überaus bequemer Mensch. Aber wenn es darauf ankommt, und die Zeit ist leider so gefährlich, dass es sehr darauf ankommt, dann sollten wir tunlichst nicht ganz so bequem um die Ecke kommen. Ansonsten übernehmen nämlich Typen wie Trump hier die Kontrolle. Dann haben wir es allerings wieder sehr bequem. Denn dann haben wir nix mehr zu melden. Ich weiß nur nicht, ob wir das wirklich wollen.
P.S. Niemand möge mir mit dem Argument kommen, man könne ja eh nix machen. So nach dem Motto: Die da oben machen ohnehin, was sie wollen. Das ist hochgradiger Blödsinn. Politiker und andere Entscheidungsträger sind keine Aliens aus einer anderen Welt. Sie sind größtenteils, wie der Rest der Gesellschaft, Opportunisten und machen genau das, was gut ankommt. Zumindest so lange, bis sie glauben, genug Macht zu haben, um nicht mehr darauf achten zu müssen.