grunzquiek hat geschrieben:Für den Fall, dass bei der US-Wahl der "Rechte" Ronald Reagan gewinnen würde, wurde der Weltuntergang vorhergesagt. Für den Fall, dass in Griechenland die "Linken" gewinnen würden, wurde der Weltuntergang vorhergesagt. Für den Fall, dass bei der Brexit-Wahl die "Rechten" gewinnen würden, wurde der Weltuntergang vorhergesagt. Für den Fall, dass bei der US-Wahl die angeblich "Rechten" (das ist in Wahrheit vielleicht eher Frau Clinton) gewinnen würden, wurde der Weltuntergang vorhergesagt.
Wer hat denn nach Reagans Sieg den Weltuntergang prophezeit? Oder noch besser, nach dem Sieg der Linken in Griechenland, einem im Weltmaßstab ungeheuer bedeutsamem Land? Okay, für viele Deutsche ist die Vorstellung, jemand (und erst recht ein Grieche) könnte sein Sparbuch ein wenig anknabbern, einem Weltuntergang gleichzusetzen. Vielleicht meinst Du ja das. Über den Brexit haben wir hier ja lang und schmutzig diskutiert, an Weltuntergangsszenarien habe ich da keine Erinnerungen.
Bleibt also nur noch der Trump'sche Wahlsieg. Und da muss ich meine Befürchtungen wohl doch noch ein wenig mehr erläutern. Eines vorweg. In Amerika mögen die meisten glauben, dass Politik eine Sache von Personen sei. Das aber halte ich für einen fatalen Irrglauben. Dementsprechend habe ich auch keine große Angst davor, dass ein amerikanischer Präsident, und sei er noch so irrational und leicht provozierbar, quasi aus gekränkter Eitelkeit mal schnell den roten Knopf betätigt. Da würde ihn der Apparat - den auch der selbsternannte Erneuerer Trump nicht ansatzweise überwinden wird (wenn er es überhaupt will, woran ernsthafte Zweifel angebracht sind) - schon stoppen.
Es ist ohnehin sehr fraglich, ob sich am System, wie die USA Politik machen, wesentliches ändert. Die Trump'schen Sprüche, dass er die Macht der Lobbyisten brechen wolle, sind für mich reine Wahlkampfpropaganda. Zwar ist Trump als Milliardär finanziell nicht auf Wahlkampfspenden angewiesen und er war kein Teil des durch und durch korrupten politischen Establishments, aber deshalb ist er nicht weniger korrupt. Er saß nur auf der anderen Seite des Schreibtisches, sprich er hat als Lobbyist die von ihm so lauthals angeprangerte politische Kaste kräftig geschmiert. Wenn sich so jemand als Kämpfer gegen die Korruption geriert, klingt das, als ob der Teufel mit Beelzebub ausgetrieben werden solle. Gleiches gilt - nebenbei bemerkt - für seinen vorgeblichen Kampf gegen das Verbrechen. Als jemand, der sein Vermögen nicht unwesentlich mit guten Geschäften mit der Mafia aufgebaut hat, ist er für einen diesbezüglichen Vorreiterposten geradezu prädestiniert.
Insofern erwarte ich in der praktischen Politik kaum grundsätzliche Neuerungen. Auch Obama, dessen Reformbestrebungen weitaus glaubwürdiger waren, musste alsbald erkennen, dass gegen das System kein Kraut gewachsen war. Deshalb hat er auch nicht mehr als ein paar Reförmchen zustande gebracht. Wenn aber die Person Trump für mich gar nicht das große Problem ist, was lässt mich dann eigentlich so pessimistisch sein?
Ganz einfach, die weltweite Tendenz, für gravierende Probleme nicht mehr dringend benötigte Lösungen zu suchen, sondern Sündenböcke. Diese Tendenz besteht schon länger, aber wenn im mächtigsten Land der Erde - das lange trotz enorm vieler Verfehlungen als Leuchtturm für Demokratie und Freiheit galt - ein Mann nur deshalb zum Präsidenten gewählt wird, weil er Hass predigt, Ressentiments sät, Mauern baut (vorallem in den Köpfen) und diskriminiert, ist das eine neue Qualität. Und die wird ihre verheerende Wirkung nicht verfehlen. Man hört doch schon die Jubelgesänge von Front National, AfD, New Kip usw., aber auch z.B. der mit Sekt auf Trumps Wahlsieg anstoßende Putin gibt keinen Anlass, Sorgen zu zerstreuen.
Was aber passiert, wenn sich in den Köpfen von immer mehr Menschen verfestigt, dass der Islam Schuld an ihren prekären Arbeitsverhältnissen habe, dass Migranten der Quell für steigende Kriminalität jeglicher Art seien, dass Schwarze und Latinos minderwertige Rassen seien und als solche keinen Anspruch auf geltende Rechtsprechung und Schutz vor Verfolgung haben, dass sexistische Gewalt gegen Frauen tolerabel sei, dass Schwule und Lesben die Instanz der Ehe gefährden? Es führt zunächst mal dazu, dass kein einziges Problem mehr gelöst wird. Denn Problemlösung kann nur funktionieren, wenn man sich mit Ernst und Seriosität auf die Suche nach den Ursachen macht.
Die Flucht vor Kriegen oder katastrophalen wirtschaftlichen Verhältnissen ist ebensowenig durch Mauern zu stoppen wie eine in bestimmten Bereichen wachsende Kriminalität. Durch Zölle werden keine, und schon gar keine besser bezahlten Arbeitsplätze geschaffen (das Gegenteil ist richtig). Den Verfall von traditionellen Werten wie Familie verursachen nicht unterschiedliche Lebensentwürfe sondern ein hemmungsloser Kapitalismus, der alles seinen kurzfristigen Profitbestrebungen unterordnet. Ein vollkommen außer Kontrolle geratener Finanzsektor ist schon lange seiner eigentlichen Funktion enteilt, ein Schmiermittel für eine funktionierende Wirtschaft zu sein (oft genug fungiert er sogar als Jobkiller, wenn z.B. einflussreiche Hedge-Fonds notwendige Zukunftsinvestitionen von Unternehmen verhindern, weil sie die kurzfristige Rendite ihrer Anleger schmälern).
Durch falsche Maßnahmen werden sich die Probleme sogar noch deutlich verschärfen. Damit einher geht ein zunehmender Verteilungskampf um die knapper werdenden Ressourcen. Und zwar auf allen Ebenen. Innerhalb einer Gesellschaft bekämpfen die Reichen die Armen und die Armen in ihrer Machtlosigkeit die noch Ärmeren. Zwischen den Staaten herrscht das gleiche Prinzip. Allerdings wird es unter anderen Namen verkauft. Man nennt das dann den Kampf gegen Ungläubige oder den Erbfeind oder die Rettung der abendländischen Kultur (oder auch "America first"). Hört sich auch viel nobler und ehrenhafter an, als würde man sagen, man wolle den anderen ans Portemonnaie.
Und damit sind wir am Kern angelangt. Innerhalb der Gesellschaften radikalisieren sich die Menschen und der Umgang untereinander wird zunehmend rauer. Mit anderen Worten, die Spaltung der Gesellschaften spitzt sich immer mehr zu. Das ist schon jetzt deutlich spürbar und wird sich noch erheblich verschlimmern. In den Vereinigten Staaten, die wie immer Vorreiter sind, kann man schon jetzt beobachten, was bei uns - sollten wir diesen Weg der Verblendung fortsetzen - in wenigen Jahren ganz ähnlich eintreffen wird. Straßenschlachten, massenhaft Prügelattacken gegenüber Fremden oder Andersdenkenden (in diesem Fall passt der Begriff), aber auch Anfeindungen und Bedrohungen gegen Journalisten, Politiker und andere öffentliche Personen, die sich dem Kampf um Demokratie, Recht und Vielfalt verschrieben haben. Klingt das nach der Ruhe, nach der sich die schweigende Mehrheit (incl. meiner Person) in der Gesellschaft sehnt?
Würde ich politische Artikel wie die hier im Forum verfassten in viel gelesenen Medien bzw. auf viel frequentierten Internetplattformen veröffentlichen, könnte ich mich schon heute kaum noch vor schlimmsten Beleidigungen, Schmähungen bis hin zu Morddrohungen retten. Schriebe ich sie mit Klarnamen und unter Offenlegung meiner Wohnadresse, müsste ich schon jetzt um meine körperliche Unversehrtheit bangen (erst recht, wenn mein Wohnort in den früher sogenannten Neuen Bundesländern lägen).
Die gleiche Entwicklung hin zu einer Radikalisierung findet im internationalen Maßstab statt. Man könnte es auch so ausdrücken, dass im Großen das gleiche wie im Kleinen passiert. Allerdings haben sich die Konflikte verändert. Noch vor einigen Jahrzehnten galt der sogenannte Ost-West-Konflikt als vermeintlich größter Krisenherd. Die weitverbreitete Sorge in der Bevölkerung war, dass sich die beiden Supermächte USA und UDSSR in einen Atomkrieg verwickeln könnten. Unbenommen der Frage, ob diese damalige Angst rational und begründet war, kann man heute feststellen, dass dieser Mammut-Konflikt längst in den Hintergrund getreten ist. Den einen großen Knall, wie ich es in meinem letzten Beitrag fälschlich ausgedrückt habe, wird es voraussichtlich nicht geben.
Das wesentlich realistischere Szenario ist jetzt schon in Ansätzen sichtbar. Die Anzahl kleiner, regionaler Konflikte wird sich vervielfältigen. Denn an jedem dieser kleinen Konflikte gibt es einen Haufen Leute, die daran verdienen bzw. davon profitieren. In den Großmächten (Rüstungsindustrie, Börsenspekulanten, mit der Wirtschaft verwobene Politiker u.v.m.), aber auch vor Ort. Bei jedem bewaffneten Konflikt verändern sich in der entsprechenden Region die Machtverhältnisse. Die Teilnahme in einer der beteiligten Parteien ist somit zuallererst auch eine Aufstiegschance. Noch dazu eine, die viel verspricht und wenig Mühe macht (man braucht keine langwierige schulische oder gar universitäre Ausbildung). Bei den vielen Menschen, die in armen Ländern vom Bildungssystem abgeschnitten sind, ist es oft sogar die einzige. Wundert es da jemand, dass es den Warlords nie an Zulauf mangelt?
Auch Phänomene wie den IS, der vermeintlich regionale Konflikte zu uns trägt, werden wir in Zukunft in weit höherem Maß als aktuell erleben und erdulden müssen. Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass Haudrauf-Hardliner wie Trump sie zurückdrängt oder uns vor ihnen beschützen kann? Ich verstehe, dass Menschen, die hilflos Terroranschlägen wie in Paris oder Brüssel ausgesetzt sind, sich das wünschen und starken Worten wie "Wir werden sie wegbomben" (O-Ton Trump) glauben möchten. Allein, es wird nicht gelingen. Jeder Bombenangriff gebiert in weit höherer Zahl neue Monster, als er welche tötet. Man schaue sich nur den Irak oder Afghanistan an. Es ist offenkundig, dass sich die Terrorgefahr, die von dort ausgeht, seit dem militärischen Eingreifen von außen vervielfältigt hat.
Mit zunehmendem Terror aber wird sich die Konfliktlage in den wohlhabenden Ländern noch weiter verschärfen. Sie, die sie mit ihrer Kriegspolitik - sei es aktiv oder auch nur durch Waffenlieferungen oder politische Unterstützung der Aktivisten - zur Destabilisierung der ärmeren Länder massiv beigetragen haben, werden nun ihrerseits destabilisiert, indem die Spaltung der Gesellschaften zunehmend voranschreitet (siehe die Absätze weiter oben). Und schon sind wir mittendrin in der Spirale der Gewalt. Die Menschheit ist gerade dabei, sich langsam aber stetig zu zersetzen. Wobei langsam in unserem Zeitalter der stetigen Beschleunigung von Prozessen relativ ist.
Aber, um es noch mal ausdrücklich zu betonen: Es wird kein Trump oder Putin sein, der das Schicksal der Menschheit besiegelt. Diese Einzelpersonen sind nur ein Ausdruck unserer Unfähigkeit, unsere im Prinzip vorhandenen geistigen Fähigkeiten in die richtigen Kanäle zu lenken. Wir sind technisch längst in der Lage, die drängendsten Probleme der Welt zu lösen. Und wir haben auch genug kluge Köpfe, die Ideen haben, wie das umgesetzt werden kann. Wir hören nur den falschen Leuten zu. Und wir kümmern uns zu wenig. Die zahlreichen falschen Propheten sind laut, wir sind leise.