Werte Kartenliebhaber,
da ich mich ja äußerst gern dann und wann mit den Zusammenhängen zwischen dem Skat und der Mathematik beschäftige, möchte ich hier mal einen Gedankengang skizzieren, der mich schon eine Weile beschäftigt.
Häufig geht es um Spiel xy und Spieler A meint, man müsse das so weit reizen, Spieler B meint jener Reizwert wäre richtig und man könne dies und das finden und die Wahrscheinlichkeit beträge xx%, was uns zu einem Erwartungswert (EW) von ABC führt und demnach korrekt wäre... Andere entgegnen dann wieder, dass sie lieber den Spatz in der Hand nehmen als die Taube auf dem Dach und so ganz kann man das nicht von der Hand weisen. Ich möchte darauf ein wenig detaillierter eingehen.
Teil A: Einleitung - Erwartungswerte.
Im Sinne einer "naiven Entscheidungstheorie" ist den meisten zumindest grob klar, von was sie ihre Entscheidung abhängig machen. Nämlich vom Erwartungswert.
Dieser berechnet sich sehr einfach, nämlich
EW = Summe über alle Ereignisse * Wahrscheinlichkeit des Ereignis * Ereignis
Beispiel: Ich habe einen Null Ouvert Ansatz und spiele Cent-Skat an einem 4er Tisch. Wo liegt der "Break-Point" an Karten, die ich finden kann, dass sich das Spiel auf Dauer lohnt?
Ich lasse jetzt hier bewusst sowas wie "Mir helfen Kreuz-Karten und einer reizt 24, damit sinkt doch die Wahrscheinlichkeit, dass ich gut finde, oder?" außer Acht, denn das ist mathematisch schwer zu fassen und bringt uns hier nicht weiter.
Die Frage ist recht leicht beantwortet. Die Wahrscheinlichkeit eine von x möglichen Karten im Skat zu finden, beträgt x/22+(22-x)22*x/21. Wieso? Naja, ich nehme die erste Karte auf und mit x/22 ist sie eine derer, die meine NO sicher machen. Ist sie es nicht (Wahrscheinlichkeit (22-x)/22 ), so nehme ich die nächste auf und habe nochmal die Chance (x/21). Das ergibt demnach für die Wahrscheinlichkeit die NO sicher zu finden, wenn man eine von x Karten findet:
P=x/22+(22-x)/22*x/21 = x/22 + (1-x/22)*x/21 = x/22 + x/21 - x²/462 = 1/462 * (43x-x²) .
Der gewonnene NO bringt auf Liste 96 Punkte * 3 Spieler = 288. (Bei 1 Cent-Tarif also 2,88€, das soll aber hier egal sein. Ob 1,2 oder 5 Cent spielt keine Rolle, da das Geld linear mit der Punktzahl geht.)
Der verlorene NO kostet -172 Punkte * 3 Spieler = -516.
Somit erhalten wir für den Erwartungswert: EW = 288 * 1/462*(43x-x²) - 516 * [1-1/462*(43x-x²)].
aufgelöst erhält man
EW = -804/462 x² + 34572/462 x -516.
Da wir wissen wollen, wo der Break Point ist zwischen Gewinn und Verlust setzen wir das also Null und erhalten eine triviale quadratische Gleichung
0 = x² - 43x + 20124/67
x = 43/2 - Wurzel (1849/4-20124/67) macht gerundet
= 21.5 - Wurzel (161.892) = 21.5 - 12.72 = 8.78.
(Die "+-Lösung" der quadratischen Gleichung ist eine Scheinlösung, die auf über 32 Karten führt.)
M.a.W. es muss 9 Karten geben, die man finden kann, damit man in diesem Modus (4er Tisch mit Listenpunkten + Fabian) auf Dauer Plus macht.
Das war nun der einfache Teil, machen wir weiter.
Teil B) Das St. Petersburg-Paradoxon:
Für alles nachstehende möchte ich eine kleine Motivation aus der Mathematik voranstellen. Diesen Gedankengang versuche ich dann auf den Skat zu abstrahieren.
Ein Casino (in der ursprünglichen Variante ein St. Petersburger Casino, daher der Name) bietet folgendes Spiel an. Wir werfen eine Münze und gewinnen, wenn "Kopf" kommt. Entscheidend ist dabei, wie lange es dauert, bis zum ersten Mal Kopf kommt. Kommt Kopf beim ersten Mal, erhalten wir einen Euro. Kommt erst Zahl, dann Kopf gibt es zwei Euro. Kommt es erst beim dritten Mal, gibt es vier Euro usw. Sodass wir,
wenn n mal Zahl kommt, bevor endlich Kopf kommt, wir 2^n Euro gewinnen.
Die Fragestellung ist nun: Welchen Einsatz sind wir bereit zu zahlen für dieses Spiel?
Gehen wir von einer naiven Entscheidungsfindung im Sinne eines Erwartungswertes aus, so ergibt sich nämlich:
EW = 1/2*1 + 1/4*2 + 1/8 * 4 + ... = 1/2 * [ 1 + 2/2 + 4/4 + ...] = unendlich.
D.h. wir müssten nach dieser Rechnung bereit sein jeden Einsatz zu zahlen, da der Erwartungswert divergiert!
Nun widerspricht das ja aber jeder inneren Logik. Der Erwartungswert divergiert, weil eben nach oben hin, die Gewinne so astronomisch werden, dass sie jeden Einsatz rechtfertigen für unendlich ofte Wiederholung des Spiels. Allerdings würde niemand viel Geld zahlen, wenn bei einer einzigen Ausführung es sehr wahrscheinlich ist, dass man nur 1, 2 oder 4 € bekommt oder? Und genau dieser Gedankengang führt uns weg von der klassischen, "naiven"
Entscheidungstheorie zur "Erwartungsnutzentheorie" bzw "Theorie des sinkenden Grenznutzens". Grob gesprochen könnte man sagen, es ist mir nämlich total egal, ob ich 5 oder 10 Mrd gewinne, weil ich eh nie alles verjubeln könnte. Obwohl die absolute Differenz identisch ist, stimmt mir wohl jeder zu, dass ein Mensch mit Null Euro mehr von 5 Mrd profitiert, als ein Mensch mit 5 Mrd von weiteren 5 Mrd, oder? Praktisch angewandt auf das Casino ist ohnehin da Sense, wo das Kapital des Casinos begrenzt ist, weil spätestens da, wäre das Casino gezwungen, das Spiel abzubrechen. Aber das soll hier nicht im Vordergrund stehen. Bernoulli schlug die Einführung einer Art "Nutzenfunktion" vor, mit der er die Divergenz im Erwartungswert behob. In seinem Falle ließ er den "Nutzen" nämlich logarithmisch steigen und erhielt einen endlichen EW.
Teil C) Was hat das alles mit Skat zu tun?
Unzweifelhaft ist und bleibt der Erwartungswert das Mittel zur korrekten Entscheidungsfindung, wenn es um Cent-Skat geht. Jedes Spiel wird für sich bewertet und es gibt kein "Ende der Liste", wenn man so will. Abgesehen von etwaigem Ableben durch Leberzirrhose, was an einem durchschnittlichen Skattisch nicht so abwegig ist, könnte man ja theoretisch ewig weiterspielen und jedes Spiel für sich genommen wirft halt den Ertrag ab, den es eben abwirft.
ABER: Im Turnier ist eine Liste endlich. In der Mannschaftsmeisterschaft über 6 oder 7 Listen hat das sicherlich einen Einfluss, wenn auch einen geringen. Noch viel interessanter wird das Ganze im Bereich der Liga. Jede Serie für sich gibt Punkte und, wie viele aus Erfahrung wissen, erscheint es doch manchmal sinnvoller die sicheren 20 Punkte zu nehmen als den 95%-Grand, auch wenn der aus Sicht des Erwartungswertes auf Dauer (und damit im Cent-Skat immer), die richtige Entscheidung darstellt. Nur lässt sich das eben schwer quantifizieren, oder? Und genau da, denke ich, ist eine Art Erwartungsnutzentheorie der richtige Ansatz. Mit den richtigen Daten könnte ich ein Modell erstellen, was die Entscheidungsfindung eben genau nach diesen Parametern modifiziert. Nun wäre eine logarithmische Nutzenfunktion nicht nur geraten, sondern einfach grob falsch. Die Idee Bernoullis ist ja, dem exponentiellen Wachstum des Gewinns entgegenzuwirken und von daher ist eine Logarithmusfunktion die trivialst mögliche Lösung. Für den realen Skat wäre es mir möglich, mit eurer Hilfe, so etwas aufzustellen, in Form eines "Taylor-Polynoms".
Was ich dazu bräuchte wären (theoretisch) Abstände zu allen Mitspielern über die ganze Mannschaft nach jedem einzelnen Spiel.
Und dann noch eine große Anzahl an Listen.
Aber im Ernst: Für ein sehr vereinfachtes Modell
würde es mir womöglich reichen, die Abstände zu den anderen Mannschaften nach einzelnen Spielen während der Liste und am Ende zu kennen. Manche schreiben ja zu Spiel 16 und 32 alles auf... vielleicht behält der ein oder andere ja solche Zettelchen?
Die Idee dahinter ist relativ simpel: Der Abstand zu den gegnerischen Mannschaften geteilt durch die Anzahl der verbleibenden Spiele stellt sowas wie einen "Vorsprungskoeffizienten" dar, welcher wiederum als Parameter in die Nutzenfunktion eingeht und den Erwartungswert modifiziert.
Denn (und das sollte jedem klar sein): Wenn ich in Spiel 48 125 Punkte Vorsprung habe und noch einfach Herz spielen kann, dann mach ich das. Auch, wenn der Grand 99% hat.
Puh, das war jetzt ne Menge. Danke an alle, die bis hierhin durchgehalten haben und ich bin gespannt auf euer Feedback.
LG
ohne11