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Die Reizentscheidung
Vor den Entscheidungen, welche beiden Karten man drückt (bzw., ob man Hand spielt), welches Spiel man „tauft“ und welche Karte man als nächstes spielt, gibt es eine weitere sehr wichtige Entscheidung, die getroffen werden muss:
Soll man das Spiel überhaupt reizen? Wie weit sollte man „mitreizen“? Oder soll man es besser auslassen, also einpassen?
Welche Reizentscheidung man trifft, hängt in der Regel von dem prognostizierten Wahrscheinlichkeitsgrad ab, mit der der Spielausgang eintreten wird.
Erreicht der prognostizierte (oder berechnete) Grad für eine „positive“ Spielprognose (Spielgewinn) noch keine ausreichende Höhe, wird eingepasst, erreicht er eine ausreichende Höhe, wird gereizt.
Nur so lässt sich langfristig ein hoher Punkteschnitt erzielen.
Anders ausgedrückt: Passt man Spiele, die im Hinblick auf die Erzielung eines langfristig hohen Punkteschnitts einen ausreichenden Gewinngrad erreichen zu häufig ein oder reizt man zu häufig Spiele, die im Hinblick auf die Erzielung eines langfristig hohen Punkteschnitts noch keinen ausreichenden Gewinngrad erreichen, ist die Konsequenz hieraus, dass eben kein ausreichend hoher Punkteschnitt, wie ihn Spitzenspieler erzielen, erreicht werden kann.
Die Grenze zwischen einem Wahrscheinlichkeitsgrad, der „so gerade“ ausreicht, damit man im Hinblick auf die Erzielung eines langfristig hohen Punkteschnitts „schon“ reizen sollte und einem Wahrscheinlichkeitsgrad, der hierfür „noch nicht“ ausreicht, ist jedoch fließend, da generell sowohl eine defensive als auch offensive Reiztaktik gleichermaßen zum Erfolg führen kann. Meine Empfehlung: Ab einer Gewinnchance von 75 % sollte auch ein defensiver Spieler reizen und unter einer Gewinnchance von 65 % sollte auch ein offensiver Spieler einpassen.
Die eigentliche Schwierigkeit besteht also weniger in der Reizentscheidung selbst, sondern vielmehr darin, mit einer ähnlich hohen Trefferquote, wie sie Spitzenspieler erzielen, richtig „vorherzusagen“, ob die Gewinnchance unter 65 oder über 75 % liegt, da man dann im Hinblick auf die Erzielung eines langfristig hohen Punkteschnitts an die jeweilige Reizentscheidung gebunden ist.
Doch, wie gelingt das?
Für den Ausgang des Spiels kommen zwei „Kräfte“ in Betracht:
1. Ihre 10 Handkarten (und Ihre eigene Spielstärke)
2. Stockkarten, Kartenstand und Spielverlauf (Stichfolge)
Der „Haken“ an der Sache ist, dass nur Ihre 10 Handkarten (und Ihre eigene Spielstärke) immer sicher bekannt sind. Um jedoch die Fehlerquote bei der „Ermittlung“, wie wahrscheinlich der Spielgewinn voraussichtlich sein wird, auf das erforderliche Maß reduzieren zu können, müssen Sie nicht nur Überlegungen darüber anstellen, ob und in welchem Maße auch die zweite „Kraft“ auf den Spielausgang einwirken könnte, sondern vor allem, ob und in welchem Maße die zweite „Kraft“ voraussichtlich tatsächlich einwirken wird.
Es reicht also nicht aus, sich nur über die Chancen und Risiken, die Ihre 10 Handkarten bieten, im Klaren zu sein, sondern muss man vielmehr in der Lage sein, so häufig wie möglich, richtig „vorauszuahnen“, welche dieser Chancen und Risiken tatsächlich eher gegeben sind.
Eine wahrlich schwierige Aufgabe!
Das Miteinbeziehen der zweiten „Kraft“ ist jedoch nicht immer notwendig. Haben Sie entweder 10 Handkarten, die auch dann noch mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens 75 % einen Spielgewinn prognostizieren lassen, obwohl die zweite „Kraft“ (Stockkarten, Kartenstand und Spielverlauf) im höchstmöglichen Maß ungünstig auf den Spielausgang einwirken würde oder haben Sie 10 Handkarten, die auch dann „nur“ mit einer Wahrscheinlichkeit von höchstens weniger als 65 % einen Spielgewinn prognostizieren lassen, obwohl die zweite „Kraft“ im (fast) höchstmöglichen Maß günstig auf den Spielgewinn einwirken würde, so ist das Miteinbeziehen der zweiten „Kraft“ entbehrlich.
Ich möchte Ihnen daher zunächst einmal eine Methode vorstellen, mit der man relativ einfach und dennoch relativ genau „ermitteln“ kann, ob die 10 Handkarten alleine bereits einen Gewinngrad von mehr als 75 oder weniger als 65 % erreichen.
So gilt:
STEGERREIZE/10-PUNKTESYSTEM (Link einfügen?)
1. XZ+2 oder mehr Punkte: Ein Spielgewinn kann mindestens zu 75 % erwartet werden.
2. XZ-2 oder weniger Punkte: Ein Spielgewinn kann höchstens zu 65 % erwartet werden.
In beiden Fällen steht die Reizentscheidung daher bereits alleine durch die 10 Handkarten fest. Die zweite „Kraft“ darf unberücksichtigt bleiben.
In allen anderen Fällen ist das Miteinbeziehen der „2. Kraft“ ein absolutes Muss!
Nun kommt jedoch der zweite „Haken“:
Das Mittel, um mehr über die zweite „Kraft“ herauszufinden, liefert alleine der Gegner! Er ist es nämlich, der durch seine spielerischen Eigenschaften und bisherigen Verhaltensweisen beim Spielen (nützliche oder weniger nützliche) Hinweise liefert, um herauszufinden, in welcher Weise und vor allem in welchem Maße die zweite „Kraft“ voraussichtlich tatsächlich auf den Spielausgang einwirken wird. Man stützt seine Mutmaßungen also quasi immer nur lediglich auf „Indizien“. Und dennoch: Spitzenspielern gelingt es eben nur hierdurch, häufiger die richtige Reizentscheidung zu treffen, weil sie in der Lage sind, mit einer hohen Trefferquote die vorliegenden „Indizien“ bei der „Ermittlung“, wie wahrscheinlich der Spielgewinn sein wird, richtig zu bewerten und mit einzubeziehen. Man könnte auch sagen: Durch die Hinweise, die der Gegner liefert, kommen Spitzenspieler dem „wahren Wert“ der 10 Handkarten häufiger richtig oder mindestens näher auf die Spur. Und genau das macht eben den kleinen aber feinen Unterschied zwischen einem Durchschnittspieler und einem Spitzenspieler aus, da nur so ein Spielverhältnis erzielt werden kann, was zu einer Spitzenposition führt.
Fassen wir an dieser Stelle kurz zusammen:
1. Die Entscheidung, ob man „schon“ reizt, bis zu welchem Wert man reizt oder, ob man „noch“ einpasst, muss (in der Regel) von dem Wahrscheinlichkeitsgrad eines Spielgewinns abhängig gemacht werden.
2. Liegt der Wahrscheinlichkeitsgrad eines Spielgewinns unter 65 %, muss (in der Regel) eingepasst werden.
3. Liegt der Wahrscheinlichkeitsgrad eines Spielgewinns über 75 %, muss (in der Regel) (weiter) gereizt werden.
4. Um den tatsächlich vorliegenden Wahrscheinlichkeitsgrad mit einer ausreichend hohen Trefferquote richtig vorhersagen zu können, müssen, sofern die 10 Handkarten unter XY-1 oder über XY+1 liegen, stets die 10 Handkarten UND das Ergebnis meiner Mutmaßungen darüber, wie und in welchem Maß die zweite „Kraft“ einwirken wird, in Ansatz gebracht werden.
5. Wie und in welchem Maße die „2. Kraft“, also Stockkarten, Kartenstand und Spielverlauf, bei der Vorhersage über den tatsächlich vorliegenden Wahrscheinlichkeitsgrad mit einbezogen werden kann, ist eine der schwierigsten Aufgaben beim Skat. Es gilt, eine möglichst hohe Trefferquote zu erzielen.
Am Ende kommen Sie dann immer zu dem Ergebnis, dass der Spielgewinn entweder so wahrscheinlich ist, dass Sie das Spiel reizen sollten, oder dass der Spielgewinn noch nicht wahrscheinlich genug ist, so dass Sie das Spiel einpassen sollten.
Das „Tüpfelchen“ auf dem I sind also häufig die Mutmaßungen, die sie über Stockkarten, Kartenstand und Spielverlauf aus den vorliegenden Hinweisen getroffen haben. Sie machen quasi „den Braten fett“. Besser gesagt: Sie machen häufig den (gedanklich ermittelten) Prozentpunkt „mehr“ oder „weniger“ aus, der dann dazu führen kann, dass man das Spiel doch noch „so gerade eben“ reizt oder doch noch „so gerade eben“ einpasst.
Gehen wir nun ans Eingemachte.
Welche Hinweise gibt es? Und vor allem: Wie bewertet man sie?
Folgende Hinweise können gegeben sein:
1. gegnerische Spielstärke(n)
2. gegnerische Spielgewohnheiten
a) in der bisherigen Spielweise
b) beim bisherigen Reizverhalten
Die gegnerische Spielstärke und die gegnerischen Spielgewohnheiten können immer zu drei möglichen „Ergebnissen“ führen:
Der Spielgewinn wird
- wahrscheinlicher
- unwahrscheinlicher
- oder bleibt gleich
Die gegnerische Spielstärke sollte Sie in der Regel zu folgender Bewertung veranlassen:
Je spielstärker die Gegner sind, umso unwahrscheinlicher wird der Spielgewinn. Die Bewertung resultiert daraus, dass sich die Wahrscheinlichkeit, dass man auch Spiele nur durch gegnerische Spielfehler gewinnen wird, mit steigender Spielstärke grundsätzlich verringert.
Die bisherigen gegnerischen Spielgewohnheiten zu bewerten, ist hingegen um ein Vielfaches schwerer. Dies liegt u. a. auch darin begründet, dass der „Zufall“ einem häufig ein Strich durch die Rechung macht. Ob der Gegner nämlich wieder einmal „blank“ anspielt, hängt natürlich auch davon ab, ob er überhaupt eine blanke Karte besitzt. Oder: Ob der Gegner das Ass, von der ich die besetzte 10 habe, auch anspielen wird, hängt ebenso davon ab, ob er es überhaupt hat. Wenn Sie also Ihre 10 Handkarten betrachten und zu dem Ergebnis kommen, dass die Gewinnchance vor allem deswegen mindestens 65 % erreicht, weil sie hierbei einkalkulieren, dass Sie Ihre 10 „nach Hause“ bekommen, so dürfen Sie nicht vergessen, dass der „Zufall“ des Kartenstands dazu führen kann, dass Ihre „Kalkulation“ nicht aufgeht. Seien Sie also immer stets auf der Hut, wenn Sie den Wahrscheinlichkeitsgrad eines Spielgewinns durch derartige „Kalkulationen“ erhöhen.
Das Reizverhalten ist jedoch das „Indiz“ dafür, um dem „zufälligen“ Kartenstand ein wenig näher auf die Spur zu kommen.
Folgende Schlüsse sind hier möglich:
- Der Gegner hat viele Karten seiner Reizfarbe
- Der Gegner besitzt mit der Reizfarbe seines Partners eine häufig gewählte Anspielalternative
- Bubenverteilung
- Bei Null-Reizungen (einschließlich Ouvert und/oder Hand) kann von Fall zu Fall mit einer höheren Wahrscheinlichkeit unterstellt werden (mitunter sogar fast ausgeschlossen werden!), dass der Gegner bestimmte Karten auf der Hand hat oder nicht auf der Hand hat
- Gleiches (wie bei Null-Reizungen) gilt für Grand-Reizungen
Gleichzeitig ist das „Reizverhalten“ ein sehr „verlässliches“ „Indiz“. Während gerade stärkere Spieler natürlich alles dafür tun, um zu verhindern, dass Schlüsse aus deren bisherigen Spielgewohnheiten gezogen werden können, so gilt dieser Grundsatz beim Reizverhalten deswegen nicht, weil natürlich jeder Spieler zunächst nur an sich selbst denkt. Das heißt: Jeder Spieler wird in der Regel bis zu dem Wert reizen, den sein Spiel hergibt, um es zu „bekommen“. Anders ausgedrückt: Ein Spieler wird in der Regel nicht deswegen nicht bis zu seinem möglichen Wert reizen, weil er hierdurch dem Alleinspieler Rückschlüsse auf sein Blatt ermöglichen würde, da sein Ziel in erster Linie ist, jede (gute) Chance auf einen eigenen Spielgewinn zu nutzen, da dies immer mehr Punkte bringt als wenn er ein Spiel „umbiegt“.
Sie sehen, wie schwer es ist, herauszufinden, wie und in welchem Maße die zweite „Kraft“ auf den Spielausgang einwirken wird. Es gibt hierbei (leider) sehr viele Unabwägbarkeiten. Der „Zufall“ ist hierbei immer der größte „Feind“. Eine Trefferquote zu erzielen, wie es Spitzenspielern gelingt, erfordert nicht zuletzt auch sehr viel Erfahrung und ein gutes „Bauchgefühl“. Insbesondere das Maß, also „wie sehr“ man die Gegebenheiten der zweiten „Kraft“ mit einbeziehen sollte, erfordert häufig jahrelange Spielerfahrung.
Ein letzter Punkt muss jetzt noch angemerkt werden:
„Welche Reizentscheidung man trifft, hängt in der Regel von dem prognostizierten Wahrscheinlichkeitsgrad ab, mit der der Spielausgang eintreten wird.“
Sicherlich haben Sie sich schon gefragt, weshalb das nur „in der Regel“ so ist.
Dies liegt darin begründet, dass Skat vor allem auch Turniersport ist. Über Turniersieg und Preisplätze werden daher häufig in wenigen Serien entschieden. Es geht bei derartigen Turnieren nicht nur darum, die Reizentscheidung danach zu treffen, wie es im Hinblick auf die Erzielung eines langfristig hohen Punkteschnitts am besten wäre. Vielmehr, und insbesondere in Endphasen von Turnieren, geht es ausschließlich darum, ein (meist) überdurchschnittliches Ergebnis zu erzielen. Gerade zum Ende des jeweiligen Turniers (mitunter auch früher) sollte hier die Reizentscheidung auch nach den eigenen bisher erzielten Punkten und den damit verbundenen Chancen auf einen Turniersieg oder Preisplatz getroffen werden.
Grundsätzlich gilt hierbei: Je weniger Spiele noch ausstehen und je größer der Abstand zu Ihrem Ziel ist, umso riskanter sollten Sie reizen. Man könnte auch sagen: „Sie müssen Gas geben“, wenn Sie beispielsweise nur noch durch viele Spielgewinne Ihr Ziel erreichen können. Oder: Sie dürfen sich entspannt zurücklehnen, wenn Sie der Meinung sind, dass Sie Ihr Ziel auch ohne jegliches weiteres Risiko erreichen werden.
Letztendlich ist dies immer auch eine subjektive Entscheidung. Aber vergessen Sie nicht: Spitzenspieler machen sich auch einen Namen dadurch, dass Sie mehr Turniersiege oder Preisplätze einfahren als Durchschnittsspieler.
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(Die fehlenden Formatierungen bitte ich zu entschuldigen. Leider wurden diese von dem .doc-Dokument nicht übernommen)
Über Anregungen, Lob und natürlich auch Kritik würde ich mich freuen!