Oh, das ist ja ein hochinteressanter Thread.

Schade, dass man das Video nicht sehen kann, so dass es uns nicht möglich ist, die genaue Argumentation von Daniel nachzuvollziehen. Aber ich glaube, zu verstehen, womit er sein Gegenspiel begründet. Das heißt jedoch nicht, das möchte ich betonen, dass ich das in der Praxis so hingekriegt hätte. Das hätte ich nämlich höchstwahrscheinlich nicht.

Aber wäre ich AS gewesen und mir wäre mein Spiel so um die Ohren geflogen, wäre ich aufgestanden, hätte mich verneigt und VH die Hand zur neidlosen Gratulation geschüttelt. Der verstorbene langjährige Spitzenspieler Horst Schäfer hätte als Kompliment gesagt: "Ich habe heute einen Skatspieler kennengelernt."
Doch der Reihe nach...
Unser Skatfreund und Forumsschreiber zaccone (ich vermisse dich, Berthold!) hat sein Skatbuch "Moderner Skat" genannt. Da ich es nicht kenne, weiß ich nicht, ob er u.a. solche Gegenspiele damit meinte. Aber für meine Begriffe fällt dieses Spiel bzw. Daniels vorgeschlagenes Gegenspiel genau darunter. Ich behaupte einfach mal, dass es dieses Gegenspiel vor 30 Jahren nie und nimmer gegeben hätte.
Was aber hat sich in den letzten gut 20 Jahren beim Gegenspiel so Grundlegendes geändert? Es hat ein skattaktisches Umdenken stattgefunden. Für meine Begriffe eng verknüpft mit einer Person, aber das soll keine Rolle spielen. Schließlich geht es hier nicht um Heldenverehrung oder Legendenbldung, sondern darum, wie sich das Skatspiel inhaltlich weiterentwickelt hat.
Die entscheidende Neuerung ist, dass man in Spitzenspielerkreisen beim Gegenspiel nicht mehr die nach der Wahrscheinlichkeit bestmögliche Karte ausspielt, sondern nach Chancen guckt, wie man ein Spiel umbiegen kann. Doch was genau ist damit gemeint?
Im Grunde etwas ganz Einfaches. Ob man im Gegenspiel 31 oder 59 Augen holt, ist hinterher vollkommen wurscht. Das Ergebnis ist das Gleiche. Bei weniger als 31 Augen gibt es schon einen kleinen Unterschied, aber nur beim Ergebnis des AS. Der Gegenspieler kriegt schließlich keine Punkte abgezogen, wenn er Schneider bleibt.

Also spielt es für ihn keine oder fast keine Rolle, wieviele Punkte seine Gegenpartei macht, wenn es unter 60 sind.
Früher ist man mit einer gewissen Logik davon ausgegangen, dass man mit der bestmöglichen Gegenspielkarte am ehesten 60 Punkte schafft. Das würde aber nur stimmen, wenn man mit offenen Karten spielt. Da wir das aber nicht tun, ist die bestmögliche Gegenspielkarte eben nur eine statistische Größe, keine reale. Vielleicht war sie in diesem Spiel die schlimmstmögliche. Deshalb macht es durchaus Sinn, zu überlegen, ob es nicht ein besseres Prinzip gibt.
Und das gibt es tatsächlich. Die heutigen Überlegungen der Topspieler gehen dahin, zu gucken, mit welchen Kartenkonstellationen in einer Farbe man ein Spiel gefährden kann. Die offensichtlichen sind natürlich lange Farben ohne Ass oder Farbe frei. Aber auch eine Blanke kann gefährlich sein oder ein Ass oder eine 10 zu dritt (wenn die beiden anderen Karten nicht gerade 8 und 7 sind). Zweierlängen sind es eher nicht. Über die freut sich fast immer der AS.
Habe ich z.B. ein Ass zu dritt und eines zu zweit und muss ausspielen, gab es früher den "Lehr"satz "Ass zu dritt macht nen Ritt". Dieser war, glaube ich zumindest, als Aufforderung gemeint, dieses Ass auszuspielen. Das sollte man aber ohne die 10 nun wirklich nicht tun. Statistisch betrachtet ist es zwar wahrscheinlicher, dass ein AS bei einem Ass zu zweit eine 10 zu dritt auf der Hand hält, aber wenn dem so ist, was nützt uns das? Wenn das Spiel ansonsten einigermaßen stabil ist, kommen wir an die 10 nicht ran und der Partner kann auch nix schmieren. Hat er hingegen von der längeren Assfarbe die 10 zu dritt, leuchtet jedem sofort ein, dass die Gegenpartei in dieser Farbe sehr viel Schaden anrichten kann. Deshalb sollte, wenn man überhaupt eine dieser beiden Farben ausspielt, immer das "statistisch" falsche kurze Ass gezogen werden.
Man muss übrigens beileibe kein Spitzenspieler sein, um dieses grundsätzliche Denkprinzip zu übernehmen. Man muss sich nur lösen können von alten und eben manchmal auch veralteten Lehrdoktrinen. Ich habe z.B. meinen Partnern in MH schon öfter 10en blankiert, weil ich meine einzige Angriffsfarbe, ein Ass zu dritt, nicht anrühren wollte. In der Regel schenkt man dem AS damit höchstens einen Schneider. Ist er darauf angewiesen, die 10 rauszuschneiden, wird er es am Ende des Spiels ohnehin tun. Ohne den K kann die Gegenpartei das kaum verhindern.
Es braucht natürlich reichlich Erfahrung und ein fundiertes Theoriewissen, um diesen Spielansatz erfolgversprechend umsetzen zu können. Das ist also kein Plädoyer, doch bitte dem Partner möglichst oft seine 10 zu blankieren.

Wenn es so einfach wäre, könnte man Skat mit Fug und Recht als Glücksspiel und nicht als Geschicklichkeitsspiel einstufen. Und dieses Spiel, welches Daniel da vorgestellt hat, ist sicher keines, bei dem man sich schämen oder kleinmachen muss, wenn man es nicht gelöst hat. Aber für falsch oder für nur zufällig richtig halte ich Daniels Überlegungen weiß Gott nicht. Im Gegenteil, sie sind schon ziemlich brillant.
Kommen wir nun also
endlich zum konkreten Spiel.
Es beginnt mit der Frage nach dem Ausspiel. Für mich gibt es ohne Reizung vom Partner hier nur zwei sinnvolle Ausspielvarianten. Die eine ist Pik 9, um dem Partner eine eventuelle 10 hochzuspielen. Bei Karo haben wir den K, mit dem wir die 10 das Partners ggf. "decken" können, bei Pik nur die D, so dass wir gegen A, K, x des AS ziemlich wehrlos wären.
Die zweite Möglichkeit ist Kreuz auszuspielen. Aber wenn dann bitteschön ein Volles. Die 10 als Informationskarte, dass ich das Ass auch noch führe, gefällt mir hier am Besten. Nur ein Bild auszuspielen, ist für meine Begriffe schlicht schlechter Skat. Wo wollen wir denn beide Kreuz Vollen unterkriegen? Mit jeweils Doppelschrott in Pik und Karo bliebe da ja nur Trumpf und dann müsste man dem Partner von Hause aus vier starke Trümpfe geben. Das ist mir ohne jegliche weitere Info aber arg viel Spekulation. Und wenn der AS tatsächlich Kreuz mitführt, lacht er sich tot.
Nach dem Ausspiel der Kreuz 10 kommt aber eine sehr wesentliche Info vom AS. Er sticht mit der Trumpf 10 und
nicht mit dem Ass. Das kann natürlich ein Bluff sein in der Hoffnung, dass noch mal Kreuz gespielt wird, da der AS ja vermeintlich kein zweites Trumpfvolles verstechen möchte. Es ist aber auch sehr gut möglich, ja sogar naheliegend, dass der Partner dieses Ass hat. Und nun kommt gleich im folgenden Stich die nächste verräterische Karte. Diesmal vom Partner, der nämlich auf die Trumpf 8 mit der 7 taucht. Führt er tatsächlich Trumpf-Ass, kann diese 7 nur bedeuten, dass er entweder vier Trumpf hat oder mit nur drei Trumpf jetzt Kreuz frei ist und überstechen will.
Was aber wäre mit Letzterem gewonnen? Danach stünden die Trumpf 1/1 und in den verbleibenden Farben haben wir jeweils Doppelschrott. Wie da 60 Augen zustandekommen sollen, erschließt sich mir beim besten Willen nicht. Geben wir dem Partner aber das Ass und vier Trumpf, ist die 7 noch auf weitere Art verräterisch. grüne Sau und Mathias haben es schon angedeutet. Warum bringt unser Partner nicht wenigstens ein Bild nach Hause? Die Antwort ist einfach: weil er keins hat. Und hätte er zu dem Ass noch einen B und 9, 7 würde er auf die 8 doch wohl die 9 und nicht die 7 legen, gelle? Also hat er die 9 auch nicht. Damit bleiben nur zwei Buben. Und den Kreuz B sollte er eigentlich auch haben, sonst verschenkt er zwei Augen. Okay, das wird durch die Tatsache, dass der AS mit dem Legen der 7 nochmal in MH kommt, sicher aufgewogen. Muss also nicht sein.
Wir halten aber fest, dass der Partner mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit zwei Buben und Herz Ass führt. Wie wahrscheinlich ist es jetzt, dass er darüber hinaus noch weitere Asse hat? Aus zwei Gründen ziemlich klein. Erstens hätte unser Partner dann vielleicht gereizt. Gut, muss nicht sein, er könnte ja nur einen einfachen Karo haben. Aber vorallem: was hätte der AS dann für eine Supergurke ausgerechnet in MH angereizt? Nichts ist unmöglich, aber viel spricht nicht dafür, oder?
Fasst man all diese Dinge, die wir als unvollständige Informationen bisher erhalten haben (so wir denn in der Lage waren, sie richtig zu lesen

), ist die Idee, hier auf Trumpfabzug und Einschub in Kreuz zu setzen, auf einmal gar nicht mehr so abwegig, oder? Dass sie natürlich immer noch höchst spekulativ ist, brauchen wir nicht ernsthaft zu diskutieren. Aber wie Mathias schon vollkommen richtig feststellte: Gibt es bei dem Gurkenblatt, zumindest nachdem die Kr 10 gestochen wurde, noch eine weniger spekulative Alternative, auf 30 oder 40 Punkte zu hoffen?