Metropolen-Blues

Alles, was nicht in eine andere Area passt.

Metropolen-Blues

Beitragvon MonsieurL » 7. Nov 2021 02:06

Donnerstag, später Nachmittag. Es regnet Bindfäden. Ein Wetter, bei dem nicht mal hungrige Eichhörnchen ihren Bau verlassen (sie finden ihre zu gut versteckten Eicheln eh nicht mehr). Aber ich muss raus, weil meine Lichttherapie ein regelmäßiges Erscheinen erfordert. Was für ein Mist. Soll ich einen Schirm mitnehmen? Bringt nix, die regelmäßigen starken Windböen machen ihn nur zum lästigen Ballast. Und außerdem vergesse ich Schirme an jedem Ort der Welt. Vielleicht sollte ich daraus ein Handy-Spiel machen. "Such den einsamen Schirm". Besser nicht, nachher werde ich noch angezeigt, weil verzweifelte Jugendliche beim Versuch, fündig zu werden, in halbgeschlossene S-Bahn-Türen springen und totgeschleift werden.

Also lieber nass werden. Ich bin ja nicht aus Zuckerguss, denke ich mir. Ist aber wirklich ziemlich eklig. Zumal ich nach wenigen Minuten feststelle, dass die Schuhe, die ich nach einem Jahr zum ersten Mal wieder anzog, offenbar unten undicht sind. Zu allem Überfluss gibt es natürlich wieder Ersatzverkehr. Die Tram, die mich ins schöne Lichtenberg bringen soll, fährt nur bis zwei Stationen vor meinem Ziel. Dort könnte ich im Regen auf den Bus warten oder gleich laufen. Ich entscheide mich für letzteres. Wer weiß, wie lange der Bus bei den permanenten Staus um diese Tageszeit braucht. Sagte ich schönes Lichtenberg? Das ist eine Übertreibung. Genaugenommen verursacht dieser Stadtteil bei regelmäßigen Besuchen Augenkrebs. Aber heute gehts. Nach der Zeitumstellung ist es schon dunkel und die sparsame Straßenbeleuchtung birgt eher das Risiko, sich zu verlaufen.

Ich stapfe also missmutig los. Die Haare und die Füße sind nass und die Hose klebt auch schon am Oberschenkel. Auf halbem Weg reißt mich eine markerschütternde Hupe aus meiner Lethargie. Beim Umblicken sehe ich, dass sie zu einem winzigen Fiat Cinquecento gehört, in dem ein goldkettchenbehangener Jungspund eine missmutige Miene aufgesetzt hat. Wahrscheinlich wartet er ungeduldig auf seine Freundin, von der er das Auto geliehen hat. Ich gehe zur Fahrertür und frage ihn, ob ich seine Hupe kaufen darf. Er schaut mich irritiert an. Ich habe ein Boot, erkläre ich ihm und diese Hupe sei bestens geeignet, bei Nebel vor Zusammenstößen gewappnet zu sein. Er überlegt, ob ich ihn verarschen will. Aber ich schicke schnell hinterher, dass ich 200 € bezahlen würde. Daraufhin guckt er verzweifelt in dem Auto rum, findet aber nichts, was ihm ermöglicht, die Hupe auszubauen. So wird das nix mit dem schnell verdienten Geld.

Ich gehe also weiter. Bei der Arztpraxis angekommen, freue ich mich darauf, wenigstens ein wenig mit der hübschen jungen Schwester schäkern zu können. Aber sie ist nicht da. Ihr Kind ist krank, wie mir eine übellaunige alte Matrone desinteressiert erzählt. So bleibt mir als einziger Trost, dass ich in der engen Kabine für 4 Minuten den Sommer geschenkt bekomme. Das gleißende Licht, bei dem man ohne Schutzbrille erblinden würde, wärmt und es bräunt sogar ein wenig. Für einen Moment hebt das meine Stimmung. Aber dann denke ich, man könne mich für einen dieser Solarium-Deppen halten wie diesen Jungspund, der vermutlich immer noch den entgangenen 200 € nachtrauert. Aber ich habe ja kein Goldkettchen. Das beruhigt mich ein wenig.

Beim Skatabend, den ich anschließend besuche, stehe ich schnell 4/4. Das passt ja, denke ich mir. Und beschließe, mich hemmugslos zu betrinken. Immerhin das muss geklappt haben, denn an viel mehr von dem Abend kann ich mich nicht erinnern. Ich freue mich schon auf die nächste Woche. Wenn es wieder heißt: Donnerstag, später Nachmittag ...
MonsieurL
 
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