Glaskarten-Aufgaben

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Glaskarten-Aufgaben

Beitragvon Flo » 4. Mär 2006 21:41

Glaskartenaufgaben


Anhand dieses Beitrags http://www.32karten.de/forum/viewtopic. ... sc&start=0 wollte ich nochmal ein paar grundlegende Überlegungen zur Herangehensweise an solche Aufgaben posten.

Es handelt sich um eine sogenannte Glaskartenaufgabe. Das bedeutet, dass die Kartenverteilung eines Spiels bekannt gegeben wird – also das Blatt des AS und der GS. Dies kann entweder geschehen, bevor überhaupt der erste Stich gespielt wurde (dann ist immer auch der Skat bekannt), oder nach einem oder mehreren bereits vorgegebenen Stichen. Mingers Beispiel stellt eine Variante dar, die ebenfalls öfter auftaucht: 3 Stiche sind bereits gespielt, es wird jedoch nur die Augenzahl angegeben, die AS und GS bis dahin eingebracht haben. Diese Aufgabenart ist etwas schwieriger zu meistern, weil unklar bleibt, wer in den ersten Stichen welche Karte zugegeben hat und damit eventuell wichtige Informationen zur richtigen Fortsetzung fehlen.
Eine häufig anzutreffende Form der Glaskartenaufgabe ist außerdem die Endspielstudie: Gegeben sind die Karten aller drei Spieler vor Ausspiel zum siebten Stich. Dazu werden meistens die jeweils erzielten Augen angegeben, nicht jedoch die konkreten Stiche. Mehrere Aufgaben dieses Typs mit zum Teil überraschenden Wendungen sind zum Beispiel in „Das große Skatvergnügen“ von Schettler/Kirschbach auf den Seiten 68-72 zu finden.
Glaskartenaufgaben nach dem siebten Stich werden selten gestellt, weil mit jeweils drei oder weniger Karten auf der Hand nur noch wenige Varianten möglich sind.

Glaskartenaufgaben werden nicht immer so bezeichnet; neben den oben erwähnten Merkmalen kann man sie häufig an der Fragestellung erkennen. Typische Formulierungen sind hier etwa: „Wer gewinnt bei allseits bestem Spiel?“ oder „Kann eine Partei den Spielgewinn erzwingen?“
Damit ist auch schon eine Besonderheit dieses Aufgabentyps angesprochen: Dadurch, dass die restliche Kartenverteilung komplett bekannt ist, können (und müssen) auch Spielzüge erwogen werden, die normalerweise unplausibel sind, weil sie in der Mehrzahl der Fälle falsch sind. So würde etwa im normalen Spiel mit verdeckten Karten in den seltensten Fällen von einem der Gegenspieler eine zweifach besetzte 10 zum ersten Stich ausgespielt. Genau solche Züge sind aber (auch) zu prüfen, wenn die konkrete Kartenverteilung bekannt ist.

Dies zieht einige Konsequenzen nach sich: Zunächst besitzen manche Lösungen zu Glaskartenaufgaben lediglich theoretischen Wert, weil sie nur in dieser einen Spielsituation zum Erfolg und ansonsten zum Verlust führen. Andererseits kann es natürlich sinnvoll sein, zunächst den erzwungenen Gewinnweg zu suchen und sich dann Gedanken zu machen, ob und wie man auf diese Spielzüge am Tisch - also mit verdeckten Karten - kommen könnte.
Außerdem führt die Erwägung von ungewöhnlichen Zügen auch dazu, dass man bemerkt, wie viele Varianten eigentlich in einem einzigen Spiel möglich sind; daraus ergibt sich auch, dass man meistens keine Voraussage darüber treffen kann, welche Partei am Ende die Nase vorn hat, weil bestimmte Spielzüge immer wieder mit anderen Zügen gekontert werden können, bis man dann letztendlich die beste Spielweise für beide Parteien in allen Stichen gefunden hat.

--> Eine Glaskartenaufgabe schult den Blick für die Gesamtkonstellation eines konkreten Spiels und für das Aufstellen eines Gewinnplans; verallgemeinerbar sind die gewinnbringenden Spielzüge indes meistens nicht. Durch die Beschäftigung mit Glaskartenaufgaben kann man aber sich darin üben, einen Gewinnplan bei bekannter Verteilung aufzustellen. Gesellt sich hierzu nach und nach die Fähigkeit, wahrscheinliche Kartenstände nach Reizwerten und bereits gespielten Stichen auszurechnen, ist es nicht mehr weit zum Profi, der das Ganze dann auch bei verdeckten Karten anwenden kann.

Bei Glaskartenaufgaben und ihrem Variantenreichtum gilt Todos mehrfach erwähnter Ratschlag, sich ein Kartenspiel zur Hand zu nehmen und die Karten hinzulegen, in besonderem Maße. Wer sein Kartengedächtnis schulen will, kann sich eine solche Aufgabe natürlich auch geistig „mitnehmen“ an einen Ort, der ein Nachdenken darüber erlaubt; ich habe z.B. die ersten Varianten zu Mingers Aufgabe durchgerechnet, während ich im Rehazentrum war. Irgendwann wird es allerdings meistens zu komplex, und spätestens dann sollten die Karten gelegt werden.

An Hand von Mingers Spiel (Link s.o.) werde ich jetzt die exemplarische Herangehensweise an eine Glaskartenaufgabe verdeutlichen:
Mit welchen Schritten sollte begonnen werden?
Flo
 
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Beitragvon Flo » 4. Mär 2006 21:46

1. Schritt (optional): Theoretische Erwägungen
Für manche Spieler stellt eine vorläufige Hypothese darüber, wie ein Sieg für die eine oder andere Partei überhaupt möglich ist, eine unverzichtbare Hilfe dar; andere beginnen gleich mit der Analyse von Stichfolgen. Da jeder für sich selbst entscheiden muss, was ihm vielversprechender erscheint, betrachte ich diesen Schritt als „optional“:

Beispiel Mingers Spiel:
Die GS haben bisher 20 Augen eingebracht; wie können sie rein theoretisch die fehlenden vierzig Augen erzielen? Es sind noch sechs Volle im Spiel, von denen der AS zwei Asse führt, die er aller Wahrscheinlichkeit nach durchbekommt; für die fehlenden 40 Augen der GS werden also entweder die verbleibenden 4 Vollen benötigt oder 3 Volle und mindestens 3 Bilder. Da alle restlichen Vollen bei MH stehen und somit keine Vollen der GS übereinander fallen können, müssen die GS mindestens noch drei Stiche machen, in denen mindestens drei der vier Vollen von MH enthalten sein müssen. Mit anderen Worten: Ein Voller von MH kann für irgendwelche Zwecke „geopfert“ werden.

2. Schritt: Mit vielversprechenden Varianten beginnen
Gerade bei Glaskartenaufgaben sind die naheliegenden Varianten nicht unbedingt diejenigen, die zur Lösung führen. Trotzdem sollte man mit diesen beginnen, um ein Gefühl für die Kartenverteilung zu bekommen. Viele Nebenvarianten münden irgendwann in die Hauptvarianten oder stellen lediglich Zugumstellungen dar. Um also eine Ausgangsbasis zu bekommen, empfiehlt es sich immer, von den einfacheren, augenscheinlichen Varianten zu den komplexeren fortzuschreiten.

Beispiel Mingers Spiel:
Die Schwierigkeit für die Gegenspieler besteht in der Tatsache, dass zwei einfach besetzte Zehner in MH sitzen und der AS auf eben diese hinten mit den Assen lauert. Spielt VH eine dieser beiden Farben (Herz oder Kreuz) an, so spielt er MH die 10 blank; der AS kann nach dem Drunterbleiben zwar nicht sofort das As hinterherziehen, weil er nicht am Spiel ist, aber die 10 ist danach in höchster Gefahr. Deswegen sind die naheliegenden Varianten hier diejenigen, in denen VH den AS durch Trumpf ans Spiel zu bringen versucht. Dabei ist konkret zu unterscheiden:

1. Bedient MH mit Pikneun (zunächst naheliegend), oder legt er einen Vollen (dann Pikvoller naheliegender als Kreuz- oder Herzzehn), um den AS ans Spiel zu zwingen?
2. Übernimmt der AS, oder bleibt er drunter?

Damit sind schon allein im ersten Stich vier Hauptvarianten möglich (MH legt Pikvollen oder Piklusche, HH übernimmt jeweils oder nicht).
Jede der vier Varianten muss nun mit verschiedenen Fortsetzungen in den darauffolgenden Stichen untersucht werden. Dies ist bereits mit einigem Aufwand verbunden; letztendlich kommt konkret dabei heraus, dass der AS mitnehmen muss, wenn Pikzehn geschmiert wird, und er muss drunterbleiben, wenn MH Pikneun legt. Dass der AS auf diese Art und Weise den Sieg erzwingen kann, findet man nur heraus, wenn man zuvor die verschiedenen Spielverläufe analysiert; der AS gewinnt nicht „automatisch“ nach der richtigen Behandlung des Trumpfstiches, sondern nur, wenn er mit Kreuzas oder Kreuzdame fortsetzt, denn Trumpfrückspiel und Herzanspiel verliert.
Dies ist ein Beispiel dafür, dass Glaskartenzüge häufig praxisfern sind: Das Rückspiel in Trumpf verliert, obwohl es eigentlich recht vielversprechend aussieht, weil man danach 1. in HH kommt und schneiden kann und 2. der Gegenspieler mit den Trümpfen ja augenscheinlich vom Anspiel wegkommen wollte. Dass mit der Dreierlänge (Kreuz) fortgesetzt werden muss, um in der Zweierlänge (Herz) die 10 zu bekommen erscheint mir ebenfalls „kontraintuitiv“, wie Schneiderlein es mal so schön formuliert hat, weil ich mir mit der Dreierlänge mehr Schnippelchancen erhofft hätte und deshalb mit der Zweierlänge vom Stich gegangen wäre.
Flo
 
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Beitragvon Flo » 4. Mär 2006 22:00

3. Schritt: Nebenvarianten untersuchen
Hat man dann die Hauptvarianten durchgespielt und ist dadurch zu einem vorläufigen Resultat gekommen (hier: der AS kann den Spielgewinn immer erzwingen), so bleiben noch die Nebenvarianten, also diejenigen Spielzüge, die zunächst wenig naheliegend erscheinen. Das Ziel dabei ist natürlich, einen Weg zu finden, bei dem die GS zwangsläufig gewinnen.

Beispiel Mingers Spiel:
1. Nebenvariante: MH schmiert Herzzehn oder Kreuzzehn
2. Nebenvariante: VH beginnt mit Fehlfarbe

Nachdem man die Möglichkeiten unter 1. analysiert hat, findet man keine neuen Erkenntnisse; alle Spielverläufe führen zum Spielgewinn für den AS. Ob es eine Chance für die GS gibt, wenn VH statt mit Trumpfzug mit Herz oder Kreuz fortsetzt, wurde drüben noch nicht diskutiert; der geneigte Leser darf sich hierüber also selbst ein Urteil bilden.
Nebenvarianten fallen oft nicht sofort ins Auge; häufig übersieht man bestimmte Spielzüge, mit denen sich eine Partei doch noch herausmogeln kann. Aus diesem Grunde ist es gerade bei Glaskartenaufgaben mit großem Variantenreichtum von Vorteil, wenn sich mehrere Leute damit befassen – dafür eignet sich unser Forum natürlich besonders gut. Daraus ergibt sich:

4. Schritt (optional): Analyse überprüfen lassen

Hat man die Varianten durchgerechnet und will sie anderen Forumbenutzern zukommen lassen bzw. denselben zur Überprüfung vorlegen, so stellt sich die Frage, welche untersuchten Spielverläufe man postet und welche nicht. Hierbei hat es sich bewährt, aus Gründen der Übersichtlichkeit nur die wichtigen Varianten sowie überraschende Wendungen exemplarisch aufzuzeigen und die zusätzlich untersuchten Spielverläufe allenfalls in verbaler Form zu berücksichtigen. Außerdem sollte anderen Lesern der Nachvollzug der eigenen Überlegungen und ggfs. die Fortsetzung derselben möglichst leicht gemacht werden. Deshalb ist es sinnvoll, die ausgewählten Varianten mit Zahlen und/oder Buchstaben voneinander zu trennen und bei Bedarf darauf hinzuweisen, was man außerdem noch untersucht hat. Es muss nicht immer alles bewiesen werden; oft reicht ein Hinweis darauf, dass eine bestimmte Variante keine neuen Erkenntnisse zutage fördert.
In gemeinschaftlicher Arbeit sollte es dann nur noch eine Frage der Zeit bzw. der Genauigkeit sein, bis die Aufgabe erschöpfend gelöst ist.

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Zum Schluss noch ein Plädoyer für diesen Aufgabentyp: Glaskartenaufgaben lenken den Blick insbesondere auf das so entscheidende Thema Ausspielrecht bzw. Ausspielpflicht und die unzähligen Möglichkeiten, die es gibt, ans Ausspiel zu kommen oder dasselbe zu verhindern. Kleinste Veränderungen in der Kartenverteilung können da schon völlig neue Situationen schaffen; man vertausche etwa im vorliegenden Spiel VHs Herzneun mit MHs Herzacht und untersuche nochmals die Möglichkeiten. Außerdem kann es natürlich auch Spaß machen, einmal nicht nur nach plausiblen, sondern ausschließlich nach effektiven Zügen zu suchen, auch wenn diese normalerweise nicht so gespielt würden.

Vielleicht ermutigen diese Anregungen ja den ein oder anderen, der sich bisher nicht an solche „theoretischen“ Aufgaben herangewagt hat, einfach mal sein Glück zu versuchen und nach „erzwungenen“ Spielverläufen zu suchen. Denn, ich hatte es ja oben schon mal erwähnt: Es ist ein schönes Gefühl, wenn die Gegenpartei keine Wahl mehr hat. :lol:

Gruß, Flo.
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